Bufdis gesucht

Menschen - das magazin, 4/2011

Zeitgleich mit der Abschaffung des Zivildiensts wurde der Bundesfreiwilligendienst eingeführt. Zusammen mit dem nach wie vor angebotenen Freiwilligen Sozialen Jahr soll er die Lücke füllen, die die scheidenden Zivis in der Pflege und Betreuung bedürftiger Menschen hinterlassen. Ob und wie das gelingen kann, darüber sind die Beteiligten allerdings geteilter Meinung.

Rolf Günter Lohmann hat alles dabei, damit man sich von seiner neuen Tätigkeit als Bundesfreiwilliger auch wirklich ein Bild machen kann: den Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland, den Einsatzplan des Braunschweiger ASB-Behindertenfahrdienstes und Fotos von seinem jüngsten Einsatz. Vorsichtig zieht der 66-Jährige die Bilder aus der Plastikhülle und legt sie auf den Tisch. Der ehemalige selbstständige Finanzberater ist darauf mir zwei Rollstuhlfahrern zu sehen. „Da haben wir zwei Eintracht-Fans zum Spiel ins Stadion gebracht“, sagt er.

Der ehemalige selbstständige Finanzmakler gehört zu den bislang noch vergleichsweise wenigen Menschen, die sich für den Bundesfreiwilligendienst (BFD) gemeldet haben. Statt der erhofften 35 000 Bundesfreiwilligen unterschrieben bis zum 1. Juli nur rund 3 000 einen Vertrag. Zusammen mit jenen Zivildienstleistenden, die ihren Dienst verlängert haben, kam das neu geschaffene „Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA)“ damit am 1. Juli 2011 auf 17 300 Engagierte, gegenüber zuletzt 43 000 Zivildienstleistenden.

Die 250 Kunden des ASB-Behindertenfahrdienstes haben demnach sehr viel Glück. Dank Rolf Günter Lohmann und fünf weiteren „Bufdis“, wie die Teilnehmer im Bundesfreiwilligendienst in Anlehnung an die Zivis genannt werden, geht es für sie weiter wie zuvor.

Auch die Nutznießer und Betreiber des Begleitdienstes des Berliner Blinden- und Sehbehindertenverbands können aufatmen. Hier waren sechs ehemalige Zivildienststellen zu besetzen. „Anfangs dachten wir: Wer macht das denn zu diesen Bedingungen? Jetzt sind wir ab September voll“, erzählt Begleitdienstkoordinator Hermann Griesel. Sein erster Bufdi ist ein verhinderter Zivildienstleistender. Malte Völker, der 2010 Abitur gemacht hat, war ausgemustert worden, obwohl er gerne Zivildienst geleistet hätte. Als er vom Bundesfreiwilligendienst erfuhr, klickte er sich im Internet durch die Stellenbörse des BFAzA. Beim Berliner Blinden- und Sehbehindertenverband blieb er hängen. Selbstständig arbeiten, viel Abwechslung, mit Menschen zu tun zu haben und oft unterwegs sein –  das sprach ihn an. Außerdem sehnte sich der 20-Jährige nach dem Gefühl, „dass man mal was Gutes getan hat“.

Für Hermann Griesel ist Malte Völker die ideale Besetzung: Männlich, jung, gebildet – so waren die meisten Zivildienstleistenden und so sollen auch ihre Nachfolger sein. „Unsere älteren Damen haben sich an die jungen Männer gewöhnt“, sagt er, „die können zupacken und lassen sich auch mal was sagen.“ Außerdem ist für Bundesfreiwillige unter 27 Jahren Vollzeitbeschäftigung vorgeschrieben, was bei der Begleitung von Blinden und Sehbehinderten wichtig sei, weil sie personelle Beständigkeit schätzen. Dies alles führt dazu, dass Hermann Griesel Bewerber aus der Gruppe der Über-27-Jährigen gar nicht erst einlädt. Auch Bezieher von Arbeitslosengeld und Hartz IV haben bei ihm keine Chance.

Dem Wunsch der Regierung entspricht der Begleitdienstkoordinator mit dieser Auswahl nicht. Bundesfamilienministerin Kristina Köhler will gerade Ältere, Frauen, Migranten und sozial Schwache für den BFD gewinnen – allesamt Bevölkerungsgruppen, die beim zivilgesellschaftlichen Engagement bislang unterrepräsentiert sind. Dabei geht es auch darum, Nachwuchs für die Alten- und Krankenpflege zu werben und anzulernen. Hundert Euro zahlt das Ministerium einer Einrichtung pro Monat mehr, wenn diese einen sozial benachteiligten Menschen einsetzt. Zudem dürfen Träger und Bundesfreiwilliger den Einsatz von den vorgesehenen 12 auf bis zu 24 Monate verlängern.

Allerdings schreckt die geringe Bezahlung viele sozial schwache junge Menschen von vornherein ab. Der gesetzlich festgeschriebene Höchstsatz für das so genannte Taschengeld liegt bei maximal 330 Euro, wovon Bufdis, die zusätzlich Hartz IV empfangen, nur 60 Euro behalten dürfen. Auch andere junge Menschen brauchen eine zusätzliche Einkommensquelle, wenn sie einen BFD absolvieren wollen. Leonhard Stärk, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, ruft die Verbände deshalb dazu auf, „Geld in die Hand zu nehmen“, um jungen Bundesfreiwilligen zusätzliche Leistungen bieten zu können. Ein Teil davon soll aus der Wirtschaft kommen. Die Post hat spontan zugesagt.

Gleichzeitig fürchtet Leonhard Stärk, dass Ehrenämter, die von älteren Menschen geleistet werden, wegen des neuen Bundesfreiwilligendienstes verwaisen. „Warum sollte jemand weiterhin ehrenamtlich am Empfang eines Altenheims sitzen, wenn er an anderer Stelle als Bundesfreiwilliger Geld bekäme?“, fragt er. „Da passt das System nicht so gut.“

Für Kritik sorgt, dass Einführung des neuen Dienstes die „Nationale Engagementstrategie der Bundesregierung“ untergräbt. Sie sah einen „deutlichen Ausbau“ der bereits bestehenden Jugendfreiwilligendienste vor. Angesichts der schlechten BFD-Zahlen ist davon nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: das Bundesfamilienministerium drohte zwischenzeitlich sogar die Förderung für die Jugendfreiwilligendienste zu reduzieren, wenn die Verbände nicht mehr Menschen in den BFD bringen.

Dahinter steht nicht nur die Angst vor dem politischen Imageschaden. Auch die Zukunft etlicher sozialer Dienste hängt an den BFDlern. Längst nicht alle Stellen, die einst die Zivis innehatten, lassen sich in reguläre Arbeitsverhältnisse umwandeln. Leonhard Stärk hat ausgerechnet, dass er zwischen zwei und drei 400-Euro-Kräfte braucht, um einen Zivildienstleistenden zu ersetzen. Diese Kosten lassen sich mit Behindertenfahrdiensten und dem „Essen auf Rädern“ nicht erwirtschaften. Auch bei der Pflege sieht er nach dem Ausscheiden der letzten Zivildienstleistenden „deutliche Einbußen“ voraus. „Zuhören, spazieren gehen und mal auf der Bank sitzen – das findet nicht mehr statt.“

Während das Bundesfamilienministerium diese Befürchtungen als übertrieben bezeichnet, hat es an anderer Stelle eingelenkt. So erhalten BFDler unter 27 Jahren anders als anfangs vorgesehen während des Dienstes weiterhin Kindergeld und Waisenrente. In der Diskussion ist zudem, den BFD stärker für das Studium anzurechnen. Weitere Änderungen sind nicht ausgeschlossen.

Bei aller Kritik sehen die Verbände aber auch Positives am neuen Dienst.  Hermann Griesel vom Berliner Blinden- und Sehbehindertenverband glaubt, dass mit der Freiwilligkeit ein höheres Engagement einhergeht, als er es bei einigen Zivis erlebt hat. Klaus Wallraff von den Maltesern rechnet damit, dass sich die BFDler „menschlich stärker binden“ und Doris Siebolds vom ASB sieht „Chancen im generationsübergreifenden Ansatz“. Die Deutsche Sportjugend und die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung wollen zudem neue Einsatzfelder schaffen wie Projektmanagement und Kultur-BFDler in Kitas.

Auch bei der Personalführung kann der BFD ein Ansporn sein. Eine aktuelle Studie der Technischen Universität Dresden und der Berliner Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung zeigt, dass viele Zivildienstleistende unglücklich waren, weil sie bei ihren Vorgesetzten kaum Anerkennung fanden. In der Zusammenarbeit mit Freiwilligen können sich die Organisationen das nicht leisten. Der BFD-Vertrag sieht zwei Wochen Kündigungsfrist vor. Da ist ein Platz schnell verwaist, wenn die Wertschätzung fehlt.