Junger Mensch hat auch 'ne Meinung

MENSCHEN - DAS MAGAZIN, 1/2009

Erwachsene und Jugendliche hatten noch nie ein einfaches Verhältnis. Im Moment scheint es allerdings besonders populär zu sein, gegen sie zu stänkern. Sie spielen die falschen Computerspiele, sehen zu viel fern, sind zu Konsum fixiert, saufen sich ins Koma, neigen zu Gewalt. Aber ist das wirklich so? Natürlich nicht. In Jugendlichen steckt viel Gutes. Man muss es allerdings auch abfordern. Zum Beispiel, indem man sie an den Entscheidungen in ihrem Umfeld beteiligt. Eine Kita, zwei Städte und eine kleine Gemeinde an der dänischen Grenze machen es vor.

"Unser Ziel ist nicht, dass Grundschulkinder anfangen, das Steuersystem zu diskutieren, sondern dass Kinder und Jugendliche das Bewusstsein erlangen: `Ich werde ernst genommen mit meinen Bedürfnissen´. Und das geht nur, indem man sie in Entscheidungen mit einbezieht und zwar als das, was sie sind: Experten für Jugendlichkeit.“

Wenn es nach Charlott Ebert von der Berliner `Servicestelle Jugendbeteiligung´ ginge, sähe in Deutschland vieles anders aus: Fußgängerampeln befänden sich dort, wo Kinder und Jugendliche tatsächlich lang gehen. Jugendtreffs wären an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Kommunen würden ihr knappes Geld in  marode Schulen und Bäder und nicht in Parkplätze und Kreisverkehre stecken. Und in den Schulen gäbe es Zukunftswerkstätten, in denen Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsam überlegen, was getan werden muss, damit alle gern zur Schule gehen. „Durch aktive Kinder- und Jugendbeteiligung würde sich vieles zum Besseren wenden“, ist die 19-jährige Studentin überzeugt, „schon allein deshalb, weil man dann die Kinder und Jugendlichen nicht länger außer Acht lässt."

Noch haben 0-bis 18-Jährigen außerhalb ihrer Familien wenig zu melden. Obwohl allüberall die Überalterung der Gesellschaft beklagt wird und die Politik offensiv für Kinder wirbt, wird nach wie vor über die Köpfe von Kindern und Jugendlichen hinweg entschieden. Selbst, wenn es um ihre ureigenen Belange geht, glauben die meisten Erzieherinnen, Lehrer, Verwaltungsangestellten und Politiker es besser zu wissen. Einfach, weil sie älter sind. „Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen wird nicht ernst genommen“, diagnostiziert der Berliner Politikwissenschaftler Roland Roth. „Das läuft so mit.“

Dabei sind die Wünsche von Kindern und Jugendlichen weder besonders kostspielig noch aufwändig. Im Gegenteil: Städte und Gemeinden, die Kinder und Jugendliche an Raum- und Verkehrsplanung beteiligen, stellen fest, dass die von den Jungen gefundenen Lösungen oft viel günstiger sind, als diejenigen, die sich die Erwachsenen ausdenken. Außerdem nutzen und pflegen Kinder und Jugendliche von ihnen mit geplante Spielflächen, Freizeiteinrichtungen und Wege besser. Und auch auf die geistige und soziale Entwicklung wirkt sich die Beteiligung offenbar positiv aus. In der Schweiz haben Wissenschaftler festgestellt, dass mit zunehmender Beteiligung auch die Lernleistung der Schüler steigt. Das gilt besonders für schwache Schüler. „Partizipation ist ein ideales Instrument zur Prävention“, sagt Roland Roth, „es nicht zu nutzen ist fahrlässig.“

Zudem stärkt das gemeinsame Planen und Arbeiten den Respekt zwischen den Generationen. Bei dem Modellprojekt „Wiege der Demokratie“ der Fachhochschule Kiel zur Beteiligung von Kindern in Kindertagesstätten stellten die Erzieherinnen-Teams verblüfft fest, dass selbst Kinder mit Windelpopo zur Lösung von Problemen beitragen können. Umgekehrt begreifen Jugendliche, dass Kommunalpolitiker viele Interessen unter einen Hut bringen müssen und daher manchmal Kompromisse notwendig sind. „Es geht darum, auf gleicher Augenhöhe zu sein“, sagt Charlott Ebert, „das ist wichtig.“

Stimmt die Balance nicht, reagieren Kinder und Jugendliche schnell allergisch. Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung unter mehr als 14.000 Schülern und ihren Lehrern ergab, dass Jugendliche häufig das Gefühl haben, nur dann mitbestimmen zu dürfen, wenn das Ergebnis den Erwachsenen egal ist, wie beispielsweise die Wandfarbe des Klassenzimmers. Die Erfahrungen aus dem Kita-Modellprojekt der Fachhochschule Kiel decken sich mit dieser Wahrnehmung. „Je stärker die Entscheidungen an den Alltag der Erzieherinnen betrafen, um so schwerer taten sie sich damit“, sagt die Pädagogin Reingard Knauer, die das Projekt entwickelt und begleitet hat. „Wir sind nie an die Grenzen der Kinder gestoßen, aber immer wieder an die Grenzen der Erwachsenen.“

Die Befürworter der Beteiligung setzen deshalb verstärkt auf professionelle Partizipationshelfer. Das Deutsche Kinderhilfswerk, das sich als politische Lobby für die Belange von Kindern versteht, bildet zusammen mit Fachhochschulen so genannte Prozessmoderatoren aus, die Zukunftswerkstätten an Schulen und in Kommunen moderieren und den Beteiligten zeigen, wie Stadtteilerkundungen, Modellbauten und Abstimmungsverfahren funktionieren. Auch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, die die Servicestelle Jugendbeteiligung fördert, und die Bertelsmann Stiftung, die das Beteiligungs-Projekt „mitWirkung!“ initiiert hat, bieten Schulungen an. Dort sitzen neben Jugendlichen und Sozialarbeitern, auch Stadtplaner, Verwaltungsangestellte und Polizisten.

Mit Schulungen, Moderations-Methoden und Modellprojekten allein ist es jedoch noch nicht getan. „Demokratie ist keine Mode, sondern etwas auf Dauer und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Kinder- und Jugendbeteiligung strukturell verankert wird“, sagt Waldemar Stange, Pädagoge an der Fachhochschule Lüneburg und einer der Pioniere der Kinder- und Jugendpartizipation. Bislang sieht lediglich die Gemeindeordnung in Schleswig-Holstein die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen, die sie betreffen, verpflichtend vor. In den anderen Bundesländern taucht die Partizipation als Kann-Bestimmung oder gar nicht in der Gemeindeordnung auf. Außerdem mangelt es an hauptamtlichem Personal. In England hat jeder County einen so genannten Participation-Officer, der die Jugendparlamente organisiert und pädagogisch begleitet. In Deutschland gibt es so etwas nicht. „Für die  Erwachsenen-Demokratie wird ein riesiger Apparat vorgehalten“, sagt Waldemar Stange, „bei den Kindern und Jugendlichen hingegen glauben wir, das geht einfach so.“

„Unfair“ findet er auch die hohen Erwartungen an die einzelnen Projekte. Immer wieder trifft Waldemar Stange auf frustrierte Bürgermeister und Verwaltungsmitarbeiter, die nach einem gescheiterten Beteiligungs-Projekt gleich die ganze Partizipation in Frage stellen. „Jugendliche sind keine besseren Menschen, und es wird immer welche geben, die sagen: `Das ist nicht mein Thema. Genau wie unter Erwachsenen.“ Stange fordert deshalb einen „realistischeren Blick“ auf Kinder und Jugendliche. Dazu gehört auch, zu erkennen, dass sie schnelle Erfolge brauchen. Mahlen die Mühlen der Verwaltung zu langsam, verlieren sie irgendwann die Lust. Kein 10-Jähriger will vier Jahre auf einen Spielplatz warten.

Gleichzeitig steigt der Veränderungsdruck. Soll Kinder- und Jugendpartizipation funktionieren, muss jede Generation die Chance bekommen, ihre Umgebung zu gestalten. Einen fertigen Spielplatz, das ultimative Jugendhaus, den auf ewig gesicherten Schulweg, das einmal mit allen abgestimmte Schulkonzept und die unumstößliche Kita-Regel – all das gibt es nicht, wenn Partizipation ernst genommen wird. Beständig ist dann allein der Wechsel. Und – den bisherigen Erfahrungen zufolge – die Demokratie. „Kinder- und Jugendpartizipation erzeugt interessierte Bürger, die es gewohnt sind sich einzumischen“, sagt Politikwissenschaftler Roland Roth.

Charlott Ebert von der Servicestelle Jugendbeteiligung ist sich sicher, dass sie sich „nie zurücklehnen und die anderen machen lassen“ wird, denn: „Dass die wissen, was mir gefällt, kann ich nicht erwarten.“ Auf dem Weg in eine Partei, was sich viele Erwachsene als Folge der Kinder- und Jugendbeteiligung erhoffen, sieht sie sich und ihre Mitstreiter hingegen nicht. „Es gibt keine Partei, die meine Ideale vertritt“, sagt sie. Trotzdem hat die Servicestelle in der Politik deutliche Spuren hinterlassen. Als die Bundesregierung vor vier Jahren Experten bat, an einem „Nationalen Aktionsplan für ein kindgerechtes Deutschland“ mitzuwirken, war die Servicestelle Jugendbeteiligung dabei.     Unter anderem heißt es in dem Dokument: „Die Gesellschaft ist angewiesen auf das Potential von Kindern und Jugendlichen. Wenn ihre Wünsche und Anregungen ernst genommen werden, kann das viele Planungs- und Entscheidungsprozesse verbessern. Die Beteiligung ist ein Gradmesser für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.“

Außerdem hat der Bund vor zwei Jahren ein „Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung“ aufgelegt. Fünf Millionen Euro sollen bis 2009 in das Programm geflossen sein. „Wir müssen ihre Beteiligungsrechte als selbstverständlichen Bestandteil der politischen Kultur unsere Gesellschaft akzeptieren, und das muss in der Praxis konkret sichtbar werden: mit entsprechenden Strukturen und einer neuen Austarierung von Machtverhältnissen zwischen den Generationen“, heißt es im Nationalen Aktionsplan weiter. Vielleicht gelingt es. Noch halten die meisten Erwachsenen an ihrer Macht fest. Getreu dem so treffend formulierten Satz des polnischen Satirikers Stanisław Jerzy Lec: „Die Zukunft gehört der Jugend – sobald diese alt ist.“