Das Wunder von Schafflund

MENSCHEN - DAS MAGAZIN, 1/2009

In Schafflund reden Kinder und Jugendliche seit zwölf Jahren mit. Was aus einem Problem entstand, hat sich zum handfesten Standortvorteil entwickelt. Die kleine Gemeinde in der Nähe von Dänemark wächst und wächst.

„Am Anfang war das schon komisch, weil er etwas Höheres ist. Aber inzwischen kennt man sich und wir gehen mit dem Bürgermeister genau so um wie mit unseren Lehrern. Na, ja, vielleicht sind wir einen Ticken freundlicher.“ Die 15-jährige Birte und die 16-jährige Nadine sitzen auf dem Schulhof der Gemeinschaftsschule Schafflund und blinzeln in die Sonne. Die Schülervertretungs-Sitzung ist zu Ende; vor ihnen liegt die Heimfahrt mit dem Schulbus. Die Strecke führt an Feldern und weiß gekalkten Häusern vorbei. Schafflund liegt zwanzig Kilometer nord-westlich von Flensburg, nicht weit von Dänemark. Das ist der Grund, weshalb es in Schafflund eine dänische Schule und damit auch ein paar dänische Gepflogenheiten gibt. Wie die, Kinder und Jugendliche zu beteiligen.

Die erste Entscheidung trafen die Schafflunder Jugendlichen vor gut 13 Jahren. Damals hatte eine Gruppe von Hauptschullehrern beschlossen, den Schulhof umzugestalten – in der Hoffnung, dass dann der Vandalismus nachlassen würde. Als sich die Pädagogen an die Planung machten, merkten sie, dass sie gar nicht wussten, wie ein schülerfreundlicher Schulhof aussieht. So kam es zur ersten Zukunftswerkstatt. Dreißig Plätze waren vorgesehen, 110 Schüler meldeten sich an. Sechzig konnten schließlich teilnehmen. „Es war gewaltig“, sagt Dieter Stielow, der den Schulhofumbau mit initiiert hat.

Aus einer Zukunftswerkstatt wurden viele und schließlich baute das halbe Dorf am Schulhof mit. Als er nach vier Jahren fertig war – und damit viel unfertiger als vorher – nahmen sich die Schafflunder das Innere der Schule vor. Danach war das Dorf dran. Die Kinder und Jugendlichen machten eine Bestandsaufnahme der Spielplätze, überprüften die Verkehrsführung und führten Interviews mit Erwachsenen. Wer noch nicht schreiben konnte, sprach das Ergebnis auf Tonband oder diktierte es einem älteren Kind. Dazu kamen Fotos und Filme. „Das war ein richtiger Rausch“, erinnert sich der damalige Bürgermeister Volkert Petersen, SPD, „zwischendurch mussten wir im Gemeinderat die Ideen sogar mal abblocken, weil wir mit der Umsetzung einfach nicht  hinterher kamen.“

So euphorisch wie Ende der 90er Jahre ist die Stimmung zwar heute nicht mehr, wegzudenken ist die Kinder- und Jugendbeteiligung aus Schafflund aber auch nicht. Die dreitägigen „Fit for Mitbestimmung“-Seminare in einem Jugendhof in Dänemark, die aus den Erlösen des Schüler-Cafés finanziert werden, sind seit Jahren hoffnungslos überbucht. „Ich kann sie nur jedem empfehlen“, sagt Nadine. Und auch die einen Tag dauernde „Denkfabrik“ hat sie in bester Erinnerung. Dort haben Birte und sie gemeinsam mit Mitschülern, Eltern, Lehrern, Verwaltungsangestellten unter professioneller Leitung die nächsten Schritte der Schulentwicklung festgelegt. „Wo wollen wir 2010  mit der Gemeinschaftsschule stehen?“ lautet die Fragestellung. „Alle haben an einem Strang gezogen“, sagt Birte.

Das gilt auch für den Schafflunder Bürgermeister, der als Schulverbandsvorsteher ebenfalls an der „Denkfabrik“ teilgenommen hat. Der 62-jährige Jürgen Schrum, Mitglied der CDU, zählt sich selbst zu „Umgestimmten“ in Sachen Kinder- und Jugendbeteiligung. Was ihn vom Skeptiker zum Fan gemacht hat? „Die Erfolge“, sagt er und Punkt und Punkt auf: weniger Vandalismus und Randale, ein größerer Zusammenhalt in der Gemeinde, ein besserer Verhältnis zwischen den Generationen, ein spannenderes Angebot beim Sportverein und eine pragmatischere Politik. „Kinder und Jugendliche wollen schnelle Erfolge sehen, sonst fühlen sie sich nicht ernst genommen. Da können wir nicht jahrelang diskutieren.“

Umgekehrt erklärt er auch, warum manche Sachen nicht gemacht werden können. So wollten die Kinder die Bundesstraße, die durch den Ort nach Sylt führt und auf der ein Lastwagen den nächsten jagt, untertunneln. „Da muss man ihnen begreiflich machen, dass das überzogen ist“, sagt Jürgen Schrum. Stattdessen setzte die Stadt Ampeln um, flachte Gehwege ab und teilte sich mit einer anderen Gemeinde die Kosten für einen Fahrradstreifen.

Eine andere vermeintlich unmögliche Forderung der Kinder und Jugendlichen konnte die Gemeinde hingegen umsetzen. Wie viele andere Kommunen auch wollte Schafflund das defizitäre Freibad schließen. Die Lösung: Schafflunder Bürger gründeten einen Verein und sanierten das Bad. Nun zieht es Besucher aus der gesamten Region an und rechnet sich wieder. Der allergrößte Trumpf von Schafflund aber ist noch ein anderer. Weil die Kinder und Jugendlichen mitreden dürfen, zieht das Dorf junge Familien magnetisch an. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Einwohnerzahl deshalb von 1500 auf 3000 verdoppelt. Und das zahlt sich auch wirtschaftlich aus. Schafflund geht es gut.